Dragon Quest 11 und das Sexismus-Problem
Japanische Videospiele, Mangas und Animes erfreuen sich auch in Deutschland immer größerer Beliebtheit. Dabei stehen die Produkte leider unter starker Kritik, sie seien in der visuellen als auch in der sozialen Darstellung oft sexistisch. Kinder- und Jugendspiele sind davon jedoch befreit … dachte Alex jedenfalls: Dragon Quest 11 hat ihn dabei eines Besseren belehrt.
Im vergangenen Winter habe ich in kein Spiel mehr Zeit investiert als in Dragon Quest 11. Knapp 160 Stunden konnte mich das Rollenspiel bisher unterhalten. Das JRPG ist zwar schon eine Weile auf dem Markt, erschien im Dezember 2020 aber in frischem Gewand mit neuem orchestralen Soundtrack auf der Xbox One. Da ich mit Dragon Quest 9 auf dem Nintendo DS groß geworden bin, ist die Nostalgie bereits in den ersten Spielstunden mit mir durchgegangen. Ich erfreute mich über jedes neue Monster, die wunderbar designte Welt und die schönen (und teils vertonten) Zwischensequenzen, die für mich noch reiner Luxus sind, wenn ich an Dragon Quest 9 zurückdenke.
Am meisten hat es mir jedoch der Soundtrack angetan … Koichi Sugiyama, you did it again! Der 90-jährige Komponist hat zugegebenermaßen nicht allzu viele neue Arrangements dem elften Hauptteil der Serie hinzugefügt, aber für mich war das keineswegs schlimm. Die Nostalgie war immerhin der Grund, wieso ich mir Dragon Quest 11 überhaupt erst geholt habe! Meine Liebe zum bekannten Dragon-Quest-Theme ist mittlerweile so groß, dass ich das Lied auf der Ukulele lerne.

Nicht alles rosig
Aber genug geschwärmt! Leider ist mein Abenteuer auf dem Kontinent Erdria nicht nur von Gänsehaut-Momenten und epischen Kämpfen geprägt worden – Dragon Quest hat nämlich bis heute ein anhaltendes Sexismus-Problem. Dabei ist es nicht die einzige Spiele-Reihe aus seinem Herkunftsland: Dass japanische Mangas, Animes und eben auch Games oft Frauen als Sexobjekt mit riesigen Brüsten und unnatürlich dünner Taille darstellen, ist weithin bekannt. Die Kampfspielreihe Dead or Alive sticht in Sachen Sexismus übermäßig heraus. Das Spin Off Dead or Alive Xtreme 3 VR geht sogar so weit, dass man entgegen der Ablehnung der halbnackten NPCs diese betatschen und belästigen kann. So „Xtreme“ ist Dragon Quest 11 zwar bei weitem nicht, für ein Kinderspiel ab sechs Jahren gibt es aber dennoch die ein oder anderen No-Go’s, die mich mehr als stutzig machten.
Kleider machen Leute
Im Mittelpunkt der Unangemessenheiten befindet sich unsere Gefährtin Jade. Die taffe Kampfkünstlerin sticht vor allem mit ihrem starken Charakter und ihrer interessanten Hintergrundgeschichte hervor … naja, neben ihrem lila Zopf, den langen Beinen in den Hot Pants und dem hautengen Oberteil, das ihre Brüste stark hervorhebt.
Im Gegensatz zu unserem Protagonisten ist Jade meist sehr leicht bekleidet. Screenshot von: Game Activsts – Spiel: Dragon Quest 11 Die Kostüme der weiblichen Protagonistinnen sind allesamt sexy oder süß. Screenshot von: Game Activsts – Spiel: Dragon Quest 11
Wem die Kleidung unserer Spielfiguren aber nicht zusagen sollte, kann diese im Laufe des Abenteuers wechseln! Unser Held kann beispielsweise in glänzenden Rüstungen kämpfen, Begleiter Erik wirft sich in einem feschen Piratenkostüm in Schale und Rionaldo bewegt sich in extravaganten Karnevalskostümen durch die Welt. Die Schwestern Veronika und Serena können dagegen fast nur in Kleidern und Roben kämpfen, während Jade im rosa Bikini sicherlich 1A für gegnerische Angriffe gewappnet ist. Andere Kleidungsoptionen der Kampfkünstlerin wären ein sexy Häschenkostüm, ein anderer Bikini oder die (immerhin alles bedeckende) Schuluniform. Es gibt auch weitere Ankleidungsmöglichkeiten, die teilweise weniger Haut und dafür mehr Schutz bieten. In meinen 160 Stunden, in denen ich die Hauptgeschichte durchspielte und beinahe alle Nebenmissionen abschloss, bin ich jedoch fast nur auf die gerade genannten gestoßen. Es scheint also so, als ob die Entwickler_innen es darauf angelegt haben, dass Jade eher knapp bekleidet über unsere Bildschirme huschen soll.
Belohnung für sexuelle Belästigung
Wirklich unangenehm wird aber erst die Umsetzung einiger Missionen. In einer Nebenquest möchte ein älterer Herr ein letztes Mal einen Blick auf ein „Häschenmädel“ werfen – das sind Frauen, die den lieben langen Tag in einem sexy Häschenkostüm herumlaufen. Und davon gibt es mehr in Erdria, als man vermuten würde. Der bucklige alte Mann beschließt jedenfalls, dass unsere Begleiterin Jade wahrhaft wunderbar in einem Häschenkostüm aussehen würde. Um die Mission also abzuschließen und die Belohnung zu erhalten, müssen wir Jade in besagtes Kostüm stecken und sie ihm vorführen. Der Rentner begutachtet daraufhin unsere Begleitung und ist begeistert. Jade ist allerdings angewidert und kommuniziert das deutlich. Das macht dem schmierigen alten Herrn jedoch nichts aus, denn er behauptet, “zornige Häschen sind sogar noch bezaubernder!” Er erfreut sich über den tollen Blick, bedankt sich bei uns und überreicht die Belohnung. Mit einem Wort: Unangenehm.

Screenshot von: Game Activsts – Spiel: Dragon Quest 11
Immerhin war diese Aufgabe freiwillig. Man könnte diese Quest also getrost ignorieren, wenn man akzeptieren kann, dass nicht alles im Spiel erreicht wurde. Folgende Mission hängt jedoch mit der Hauptgeschichte zusammen und muss somit durchgespielt werden, um das Game abzuschließen.
Jade wird zur Sexsklavin
Im Verlauf der Story versucht Jade, unschuldige Menschen aus den Fängen eines furchteinflößenden Monsters zu befreien. Das geht jedoch gehörig schief: Die taffe Kampfkünstlerin wird genötigt, sich in ein schwarzes Häschenkostüm mit Netzstrümpfen zu zwängen. Der ekelerregende Gegner ist dabei ganz aus dem Häuschen und freut sich schon darauf, bald mit ihr „Händchen zu halten“. Die charakterstarke Jade hat es trotz ihres Outfits nicht mehr faustig hinter den Löffeln und ist ihm kampflos ausgeliefert. Das schwarze Kostüm hat nämlich ihren Verstand vernebelt, weshalb sie ihm aufs Wort hört.
Falls es in Vergessenheit geraten ist: Das soll ein Spiel für Kinder sein! Sexuelle Belästigung, Metaphern für Vergewaltigungen, Drogenmissbrauch und ein allgemeines Sexismus-Problem sollte vor allem in einem Spiel wie Dragon Quest keinen Platz finden. Unsere Jungfrau in Nöten kann aus der eben erwähnten Misere natürlich nur mit der Hilfe unseres Helden befreit werden. Aber naja, zu diesem Zeitpunkt ist ehrlich gesagt sowieso schon Hopfen und Malz verloren gegangen …
Prostitution im Kinderspiel
Diese sexuellen Anspielungen finden sich aber nicht nur bei Jade. In mehreren Städten können wir das Angebot einer jungen Frau annehmen und eine kostenlose Runde „Oh La La“ bekommen. Was genau dabei passiert, ist oft unklar. Die oft leicht bekleidete Dame sagt uns meistens, wir sollen uns entspannen und legt uns dabei eine Augenbinde um. Der Bildschirm wird schwarz, während wir per Textfeld lesen, dass mehrmals „Oh La La“ gesungen wird. Dass das eine Anspielung auf Prostitution ist, muss vermutlich nicht erklärt werden. Oft gibt es eine vage Auflösung, was gerade passiert ist. Einmal wird beispielsweise gezeigt, dass es in Wahrheit ein kräftiger Mann war, der uns ein „Oh La La“ gegeben hat.
Diese „Oh La La’s“ haben bereits eine gewisse Tradition in Dragon-Quest-Titeln. Im achten Teil der Reihe gibt es sogar mehr oder weniger ein Bordell. Dabei fragt uns die Frau während des schwarzen Bildschirms, ob wir je ein so weiches und warmes Paar gespürt haben, wie die der ihren. Die Auflösung: Es handelte sich nicht um ihre Brüste, sondern um zwei Schleim-Monster, die sie in unser Gesicht drückte. Ob diese „Tradition“ unbedingt weitergeführt werden muss, bleibt aus meiner Sicht fragwürdig.
In der Gallopolis bietet uns eine junge Frau eine kostenlose Runde “Oh La La” an. Screenshot von: Game Activsts – Spiel: Dragon Quest 11 Dabei werden wir in ihr Schlafzimmer geführt und unsere Augen werden verbunden. Screenshot von: Game Activsts – Spiel: Dragon Quest 11
Und das sind noch nicht einmal die einzigen bedenklichen Punkte an Dragon Quest 11. Es gäbe noch die Oh-La-La-Attacken von Jade oder den Dauerwitz des alten Mannes, der Schmuddelheftchen liest. Auch die Nebenmission, in der wir einen Oh-La-La-Kombo-Angriff mit unserem Protagonisten und Jade durchführen sollen, da das „jeder Junge mal gemacht haben muss, um ein Mann zu werden“, ist eine klare Sexanspielung. Das ist noch um einiges eigenartiger, wenn man bedenkt, dass Jade eine Art große Schwester für den Helden sein soll.
Und was ist die Lösung?
Dass solche Neben- und Hauptmissionen, Angriffe und Witze unangebracht sind, ist hoffentlich relativ ersichtlich. Bei dem Design der Figuren stößt man jedoch auf viele Einwände. Es wird argumentiert, dass das nun mal der Zeichen- bzw. Grafikstil in Japan sei und es zu ihrer Kultur gehöre. Das ist natürlich zum Teil richtig, ich möchte hier auch niemandem Kulturgüter absprechen und/oder schlecht reden. Nichtsdestotrotz ist die Darstellung in Medien zu großen Teilen dafür verantwortlich, wie wir Menschen in der Realität wahrnehmen.
Es ist ja auch schon in vielen Bereichen gelungen, den japanischen Flair beizubehalten und trotzdem eine angemessene Darstellung von Frauen zu gewährleisten. Im Monster-Hunter-Franchise sind die weiblichen Rüstungen beispielsweise genauso cool wie die männlichen, ohne mehr Haut und Sexappeal zu zeigen. In Nier: Automata soll die Darstellung der Protagonistin ebenfalls gelungen sein. Da ich bisher lediglich die ersten paar Stunden gezockt habe, kann ich mir zwar noch kein abschließendes Urteil bilden, aber der erste Eindruck überzeugte. Die Hauptfigur ist zwar auch im hautengen Anzug unterwegs, unterscheidet sich dabei aber nicht von ihrem männlichen Kollegen. Beide Titel bzw. Spiel-Reihen wurden von Fans und Kritiker_innen hoch gelobt. Diese Positivbeispiele werden immer mehr. Japanische Popkultur besteht eben nicht nur aus großen Brüsten, enge Taillen und Frauen in sexy Schuluniformen. Es wird Zeit, dass auch große Marken wie Dragon Quest das bemerken.
Apropos große Spielemarken: Habt ihr schon unseren Beitrag zur Crunch-Time bei Cyberpunk 2077 gelesen?
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