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Fractured Minds: Psychische Erkrankungen in Videospielen

Das Kurzspiel Fractured Minds versucht auf kreative Weise, verschiedene psychische Erkrankungen zu vermitteln. Dabei wird jedoch selten gesprochen. Vielmehr müssen wir die verschiedenen künstlerischen Metaphern richtig interpretieren. Dabei habe ich mich gefragt: Kann ein Mensch ohne persönliche Erfahrungen in diesem Gebiet wie ich dieselben Bedeutungen herausfiltern, wie jemand mit psychischen Erkrankungen?

Vor nicht allzu langer Zeit wurden psychische Erkrankungen in vielen Teilen der Gesellschaft nicht ernst genommen. Menschen mit Depressionen würden ja „nur nach Aufmerksamkeit suchen“ oder es wäre ja „nur eine Phase.“ Teilweise ist dieser Irrglaube noch immer in den Köpfen der Menschen verankert. Trotzdem erkennen immer mehr Personen, dass es sich dabei um ernsthafte Erkrankungen handelt. Wie sich die Betroffenen aber wirklich fühlen, ist für viele weiterhin schwer vorstellbar. Logisch, wenn man selbst keine Erfahrungen machen musste und Betroffene häufig ungern darüber offen sprechen, ist das natürlich nicht leicht.

“Stell dich nicht so an, so schlimm ist es doch nicht.” – Menschen mit psychischen Erkrankungen hören selbst heute noch solche Sätze. Screenshot von: Game Activists – Spiel: Fractured Minds

Im Videospiel Fractured Minds aus dem Jahr 2019 werden verschiedene psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depression thematisiert. Das rund 20-minütige Game wurde innerhalb von nur zehn Monaten von der damals 17-jährigen Emily Mitchell eigenständig entwickelt. Eigentlich begann das Spiel als Ablenkung, da sie selbst unter Angststörungen leidet. Letztendlich wurde das Game in Kooperation mit Wired Productions veröffentlicht. „Meine eigene Angststörung hat in meinem Leben zu schweren Beeinträchtigungen geführt. Ich wollte ein Spiel entwickeln, mit dem ich meine Erfahrung teilen und eine offene Diskussion über dieses Thema anstoßen kann, das häufig missverstanden oder totgeschwiegen wird.“, so Mitchell.

Der Test

In sechs Kapiteln erleben wir auf kreative und künstlerische Weise, wie sich Alltagssituationen für Betroffene anfühlen können. Dabei lässt Mitchell viel Raum für Interpretation übrig. Während ich jedoch Fractured Minds spielte, stellte sich mir die Frage, ob allein die Interpretationen einer Person ohne direkte Erfahrungen und Halbwissen über psychische Erkrankungen wirklich die gewünschten Effekte erzielt, die Mitchell im Sinn hatte. Daraufhin erlebte ich das Kurzabenteuer ein weiteres Mal – diesmal aber nicht allein. Die 22-Jährige Lena D. begleitete mich durch Mitchells Welt. Die leidenschaftliche Gamerin ist seit knapp fünf Jahren aufgrund von Angststörungen und Depression in Therapie. Gemeinsam unterhielten wir uns über die verschiedenen Spielabschnitte und welche Bedeutungen sie haben könnten.

Dabei ist zu erwähnen, dass nicht jede Person mit psychischen Erkrankungen das Gleiche fühlt. Dadurch kann keine der Interpretationen „die einzig wahre Antwort“ sein. Die folgenden Vermutungen sind demnach persönliche Ansichten aufgrund von eigenen Erfahrungen.

Alltägliche Aufgaben

Im ersten Kapitel von Fractured Minds befinden wir uns in einem schlichten Schlafzimmer, welches wir ohne einen bestimmten Schlüssel nicht verlassen können. Im Raum sind jedoch etliche Schlüssel verteilt – keiner davon passt in das Schloss. „Ist es wirklich so schwer?“, fragt uns das Spiel. Die Auflösung des Rätsels: Der richtige Schlüssel ist hinter einem Gemälde versteckt, den wir erst ab einem bestimmten Punkt finden können. Meine Mitspielerin Lena sieht darin folgende Aussage: „Die Angst, was alle anderen können, nicht zu können. Ich würde auch sagen, dass ich damit Erfahrung gemacht habe. Vor allem, wenn es um soziale Interaktionen geht. Ich habe sehr lange mit niemandem Erfahrungen ausgetauscht, wie es anderen in sozialen Interaktionen geht. Da kann man sich schon mal schnell einreden, dass man ganz anders ist als andere Menschen und dass niemand damit Probleme hat […] Vor allem das Gefühl: ‚Ich sollte das können, aber ich kanns nicht‘.“

Egal was man macht, das Spiel suggeriert, dass man es falsch macht. Die Lösung kann nämlich noch gar nicht gefunden werden.
Screenshot von: Game Activists – Spiel: Fractured Minds

“Guck nicht so traurig … das ist eine Party.”

Im nächsten Raum befinden wir uns offenbar auf einer Geburtstagsfeier. Luftballons sind auf dem Boden verteilt, Geschenke befinden sich auf dem Tisch und eine Piñata hängt von der Decke herab. Jedoch herrscht in dem verlassenen Zimmer eine erdrückende Stille. „Guck nicht so traurig … das ist eine Party.“, erzählt uns das Spiel. Machen wir im darauffolgenden Rätsel etwas falsch, werden wir sogleich als „Dummkopf“ bezeichnet. Eine kleine Wandmalerei zeigt offenbar eine Feier, bei der sich die Gäste miteinander unterhalten. In der Mitte sitzt eine traurige Person, allein. Wenn es blitzt, erscheint hinter ihr eine unheimliche schwarze Gestalt.

Ich interpretiere die ständige Anwesenheit der Depression und die innere Einsamkeit trotz anderer Menschen hinein. Lena hat jedoch einen anderen Ansatz: „Es ist nicht immer so, dass dich ein Schatten überall hin verfolgt. Es gibt natürlich Momente, in denen man abgelenkt ist und Spaß hat. Aber es war auch bei mir schon mal so, dass ich Spaß hatte, nichts Schlimmes passiert ist und dann plötzlich denkt man irgendwas und für den Abend kommt man nicht mehr raus. Dann ist man traurig und schlecht drauf und will niemanden mehr sehen.“

Für einige der schönste Tag des Jahres, ist es in Fractured Minds ein einsames und deprimierendes Level.
Screenshot von: Game Activists – Spiel: Fractured Minds

Verschnaufpause

Ein angenehm warmes Feuer im offenen Kamin, ein bequemer Sessel und Fotos mit schönen Erinnerungen: Im dritten Kapitel von Fractured Minds lässt es sich gut gehen. Die Bedeutung dieses Levels ist für uns beide leicht ersichtlich: „Man muss sich einen Ort erschaffen, wo diese Angst oder die schlechten Gefühle nicht da sind oder abgeschwächt sind. Für mich ist das mein Zuhause, meine Familie. Das ist leider nicht für jeden der Fall.“, so Lena.

Eine kleine Pause bekommen wir im Kapitel “Komfortzone”. Wollen wir den Raum wieder verlassen, warnt uns Fractured Minds vor der Außenwelt. Screenshot von: Game Activists – Spiel: Fractured Minds

Wollen wir jedoch in den nächsten Raum vordringen, rät uns das Spiel davon ab: „Geh nicht raus. Draußen wird es dir nicht gefallen.“ Lena kennt auch dieses Problem: „Eine Komfortzone kann aber auch schnell zu etwas Negativem werden, wenn es die Angstgefühle verstärkt, das Haus zu verlassen oder sich mit anderen Menschen zu treffen.“

Kein Entrinnen

In den folgenden Kapiteln werden weitere Themen wie Therapien und Paranoia angesprochen. Je weiter wir im Spiel voranschreiten, desto surrealer werden die Level. Das Spiel endet düster, ein Happy End wäre wohl auch eine unpassende Botschaft gewesen. Psychische Erkrankungen begleiten einen nämlich oft ein Leben lang. „Man muss aktiv dagegenwirken, man kann nicht nur einfach Tabletten nehmen und in die Therapie gehen. Da muss man aktiv dagegenwirken, in seinem Denken und seinem Tun. Egal wie lange es dauert.“, so Lena.

Fractured Minds vermittelt auf kreative und künstlerische Weise die Gefühlslage von psychisch erkrankten Menschen. Die abstrakte Darstellung der Themen erlaubt es, die Geschehnisse auf unterschiedlichste Weise zu interpretieren. Dadurch kann zwar jede Person angesprochen werden, führt aber auch zu potenzieller Verwirrung von einigen Spieler_innen. So ist die ein oder andere Szene schwer zu deuten. Wer also mit Metaphern nichts anzufangen weiß und sich lieber klare Aussagen wünscht, wird mit Fractured Minds nicht glücklich. Für alle anderen ist das Kurzspiel jedoch mindestens einen Blick wert.

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